Freelancer als Alternative im Recruiting, Interview mit den Freemom-Gründerinnen
In unsicheren wirtschaftlichen Zeiten müssen Unternehmen ihren Personalbedarf flexibel planen. Freelancer können eine Alternative zum Recruiting von festen Mitarbeitern sein.

NICOLAS SCHEIDTWEILER
Senior-Berater und Geschäftsführer
Tel. +49 421 365 115 20
scheidtweiler@eb-now.de
Anika Pieper und Lena Schmidt haben vor zwei Jahren mit Freemom eine Plattform gegründet, um die Hidden Workforce am Arbeitsmarkt sichtbarer zu machen. Diese Idee konzentriert sich vor allem auf Menschen mit Care-Verpflichtungen.
Die Gründerinnen erläutern in diesem Interview ihre Erfahrungen und Einschätzungen zum Einsatz dieser Arbeitskräfte als Freelancer in Unternehmen.
Wie entstand die Idee einer – weiteren – Plattform für Freelancer?
Lena Pieper: Wir haben Freelancing nicht neu erfunden, sondern erkannt, dass es das perfekte Arbeitsmodell für Menschen mit Care-Verpflichtungen ist. Die große Überschrift lautet Flexibilität.
Die Idee entstand aus eigener Erfahrung: Nach meiner Elternzeit musste ich feststellen, dass meine bisherige Stelle in Teilzeit nicht mehr existierte. Ich hatte keine Möglichkeit, in der bisherigen Form zurückzukehren, weil meine Tochter noch keinen Vollzeit-Kitaplatz hatte.
In der neuen Rolle, die mir angeboten wurde, hatte ich zwar weiterhin eine berufliche Perspektive, aber sie entsprach nicht meinem vorherigen Skill-Level. Da ich beruflich engagiert bleiben wollte und meine erworbenen Fähigkeiten nicht brachliegen lassen wollte, entschied ich mich für den Schritt in die Selbstständigkeit als Freelancerin. Schnell stellte ich jedoch fest, dass es kaum geeignete Freelancing-Plattformen gibt, die auf flexible Teilzeit- und Remote-Projekte ausgerichtet sind.
Dies war die Geburtsstunde von Freemom – einer Plattform, die Menschen mit Care-Verpflichtungen eine echte Perspektive bietet.
Welche Herausforderungen haben Sie dabei identifiziert?
Lena Pieper: Anika und ich haben uns gefragt, warum Freelancing-Projekte oft nur für Vollzeit-Freelancer geeignet sind und warum die Rückkehr in den Beruf nach der Elternzeit so schwierig ist.
Wir haben festgestellt, dass viele Unternehmen noch nicht darauf vorbereitet sind, flexible Arbeitsmodelle wie Freelancing gezielt in der Deckung ihres Personalbedarfes einzusetzen.
Die große Herausforderung liegt in der fehlenden Sichtbarkeit für Teilzeit- und Remote-Projekte. Viele Unternehmen sind auf festangestellte Mitarbeiter eingestellt und sehen alternative Modelle als Ausnahme.
Wir wollten nicht einfach nur beraten, sondern einen Marktplatz schaffen, auf dem flexible Talente gezielt mit Unternehmen zusammengebracht werden, die diese Flexibilität brauchen.
Was macht Freemom so innovativ?
Lena Pieper: Der Fokus auf die sogenannte Hidden Workforce.
In Deutschland gibt es 15,4 Millionen Erwerbstätige, die aufgrund von Care-Verpflichtungen dem Arbeitsmarkt nicht voll zur Verfügung stehen.
Diese Menschen haben oft hochqualifizierte Abschlüsse und wertvolle Berufserfahrung, können aber nicht in Vollzeit arbeiten.
Unternehmen klagen über Fachkräftemangel, während dieses riesige Potenzial ungenutzt bleibt.
Unser Marktplatz bringt diese beiden Seiten zusammen: Unternehmen profitieren von qualifizierten, flexiblen Freelancern, während diese wiederum die Möglichkeit erhalten, ihre Fähigkeiten einzusetzen, ohne ihre Care-Verpflichtungen zu vernachlässigen.
Wer zählt alles zu Ihrer Zielgruppe?
Anika Schmidt: Wir haben mit Müttern begonnen, weil wir hier selbst Erfahrungen gesammelt haben.
Doch das Thema ist breiter. Neben Müttern gehören auch Väter und pflegende Angehörige dazu. Flexibilität ist essenziell, um Beruf und private Verpflichtungen zu vereinbaren.
Väter stehen ebenso vor Herausforderungen, wenn es um Vereinbarkeit geht. Unsere Plattform richtet sich daher an alle, die eine bessere Balance zwischen Beruf und Familie suchen.
Der Bedarf wird in Zukunft weiter steigen, insbesondere im Pflegebereich, denn die Zahl der pflegenden Angehörigen wächst stetig, und hier braucht es dringend flexible Lösungen für die berufliche Integration durch gezieltes Recruiting von Freelancern.
Welche Branchen profitieren besonders von Freelancern mit Care-Verpflichtungen?
Lena Pieper: Alles, was remote möglich ist. Von Marketing, HR, Buchhaltung, Controlling bis hin zu IT und Vertrieb.
Unsere Plattform bietet branchen- und fachbereichsübergreifende Lösungen. Viele unserer Projekte stammen aus dem Bereich Finanzen, Social Media Management und auch IT-Entwicklung.
Während andere Plattformen häufig IT-lastig sind, bieten wir eine breitere Vielfalt an Projekten – von strategischer Beratung bis hin zu operativen Tätigkeiten.
Voraussetzung ist, dass die Aufgaben flexibel und ortsunabhängig erledigt werden können, was Unternehmen im Recruiting neue Möglichkeiten eröffnet.
Welche Vorteile bieten Freelancer Unternehmen?
Anika Schmidt: Freelancer bringen Erfahrung aus verschiedenen Unternehmen mit, sind schnell einarbeitbar und bieten Expertise auf Abruf.
Unternehmen können flexibel auf Herausforderungen reagieren, ohne langfristige Verpflichtungen einzugehen. Gerade in wirtschaftlich unsicheren Zeiten ist das ein enormer Vorteil.
Zudem helfen Freelancer, interne Teams zu entlasten und notwendige Innovationen voranzutreiben.
Ein weiterer Vorteil ist die Kosteneffizienz: Unternehmen zahlen nur für die tatsächlich erbrachte Leistung, ohne langfristige Personalkosten einzugehen. Dies macht das Recruiting von Freelancern zu einer attraktiven Alternative.
Welche Risiken müssen Unternehmen beachten?
Lena Pieper: Das Thema Scheinselbstständigkeit ist ein häufiges Anliegen.
Unternehmen müssen klare Strukturen schaffen, um Freelancer nicht wie festangestellte Mitarbeitende zu behandeln. Dazu gehört eine genaue Abgrenzung der Aufgaben, eine klare Projektbeschreibung und die Vermeidung von Weisungsgebundenheit.
Wir unterstützen unsere Kunden mit einem Legal-Tech-Tool, das eine anwaltlich geprüfte Risikoeinschätzung ermöglicht.
Unser Tool stellt sicher, dass alle rechtlichen Anforderungen erfüllt werden und das Unternehmen abgesichert ist, um das Recruiting von Freelancern rechtssicher zu gestalten.
Welche Schritte sollten Unternehmen unternehmen, um Freelancer erfolgreich zu integrieren?
Anika Schmidt: Unternehmen sollten zunächst eine klare Strategie für den Einsatz von Freelancern entwickeln.
Dazu gehört die Definition, welche Rollen und Aufgaben sich für Freelancing eignen. Wichtig ist auch eine transparente Kommunikation innerhalb des Teams, um Akzeptanz zu schaffen und Unsicherheiten abzubauen.
Darüber hinaus sollten Unternehmen Prozesse für die Zusammenarbeit mit Freelancern etablieren, beispielsweise durch klare Briefings, Feedbackmechanismen und eine verlässliche Ansprechperson.
Ein gut strukturiertes Onboarding hilft, eine schnelle Einarbeitung zu gewährleisten und eine produktive Zusammenarbeit sicherzustellen.
Inwieweit werden aus Freelancern dann Mitarbeiter?
Anika Schmidt: Tatsächlich ist es so, dass wir auf unserer Plattform natürlich insbesondere auch Menschen haben, die sich in bestimmten Lebensphasen für Freelancing entscheiden.
Wir sind fest davon überzeugt, dass Karrieren flexibler und durchgängiger werden müssen.
Das diskutieren wir einerseits mit den Freelancern selbst, andererseits aber auch mit den Unternehmen. Viele entscheiden sich für ein Freelancing-Modell in Familienphasen, in denen sie zwei bis drei Jahre flexibel arbeiten möchten.
Wenn sich ihre Lebenssituation ändert und sie wieder mehr Kapazitäten haben oder eine attraktive, flexible Festanstellung finden, dann gehen sie diesen Weg.
Wir sehen, dass einige unserer Kunden nach erfolgreichen Projekten mit Freelancern langfristig zusammenarbeiten möchten. Wenn die Zusammenarbeit gut funktioniert, entwickelt sich daraus oft ein festes Arbeitsverhältnis, weil beide Seiten voneinander profitieren und die gegenseitige Passung optimal ist.
Unser Talentpool ist daher offen für flexible Übergänge zwischen Freelancing und Festanstellung uns somit Teil des Recruiting.
Lena Pieper, Anika Schmidt, vielen Dank für das informative und offene Gespräch.
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