Der große Denkfehler: Work-Life-Balance
- Autor: Claudia Wiehler
Den Beruf und das Privatleben unter einem Hut zu bekommen, ist nicht immer einfach. Genau diesem Problem widmeten sich in den letzten Jahren zahlreiche Untersuchungen und Studien. Doch müssen Arbeit und Leben immer in einem Spannungsverhältnis stehen? Ist eine gute Work-Life-Balance wirklich immer das zu erreichende Optimum?
Jeder redet davon, doch niemand hat sie wirklich: Die perfekte Work-Life-Balance. Welche Bedeutung hat Arbeit für den Menschen - oder ist Arbeit für uns wirklich nur ein lebenslanges Stressmoment? Es fühlt sich zumindest so an, wenn uns schon als Kinder beigebracht wird, dass viele negativ besetzte Dinge „mit Arbeit verbunden" sind. Doch Arbeit gehört zum Leben wie Urlaub und Familienbesuche.
Work-Life-Balance?
Betrachten wir zunächst einmal die heute gebräuchliche Definition von Work-Life-Balance: Die Work-Life-Balance bezeichnet die Ausgewogenheit von Arbeits- und Privatleben. Praktisch gesehen soll ein Gleichgewicht zwischen diesen immer wieder als konkurrierend dargestellten Lebensbereichen hergestellt werden. So sollen die beiden Bereiche einander ergänzen und stehen sich nicht mehr gegenseitig im Weg.
In der Theorie wird dem Arbeitnehmer mehr Kontrolle über die Organisation des Arbeitslebens eingeräumt, um so eine bessere Abstimmung mit den anderen Lebensbereichen zu finden. Der Arbeitnehmer bringt so dem Arbeitgeber einen größeren Nutzen - denn durch die bessere Organisation lassen sich die Gefahren wie Burnout und Boreout (Unterforderung) vermeiden (lesen Sie hier mehr dazu).
Leben wir um zu arbeiten oder arbeiten wir um zu leben?
Doch Arbeit kann durchaus befriedigend sein und ist vielmehr als nur ein böses Ungeheuer - oder ein lästiges Übel, das wir auf uns nehmen. Auch neben der Arbeit lässt sich ein äußerst erfülltes Privatleben führen. Anscheinend sehen viele einfach nur ein Paradies vor Augen, in dem sie den ganzen Tag nicht auch nur einen Finger rühren müssen.
Ein Gedankenspiel: Stellen Sie sich nun vor, Sie verbringen Ihr ganzes Leben in diesem Paradies und jede Arbeit wird Ihnen abgenommen. Alle um Sie herum arbeiten, nur Sie dürfen oder wollen nicht. In den ersten Wochen wäre dies wohl wie ein entspannter Urlaub.
Doch mit der Zeit setzt dieses Gefühl ein: Sie fühlen sich nutzlos. Auch Ihr Privatleben würde unter dieser Situation leiden. Sie haben so viel Zeit, die Bekannte und Freunde füllen könnten - doch die müssen arbeiten. Nun fühlen Sie sich unausgeglichen und wünschten sich, neben all der Freizeit doch auch wieder „etwas tun" zu können. Wie wäre es da mit Arbeit?
Um es kurz zu machen: Leben und arbeiten sind keine Konkurrenten. Sie sind keine Gegensätze, die es auszugleichen gilt. Vielmehr geht es um eine Gesamtaufgabe, die uns das Gefühl gibt, ausgeglichen zu sein und für uns sinnvolle Dinge zu tun. Ergänzung statt Ausgleich.
Der falsche Ansatz
Das Magazin t3n beschäftigte sich vor Kurzem mit den Irrtümern im klassischen Work-Life-Balance-Ansatz (hier geht's zum Artikel). Wir sehen es ganz ähnlich.
- Das Modell der Work-Life-Balance geht grundsätzlich davon aus, dass Arbeiten eine Bürde ist. Das „richtige" Leben findet erst dann statt, wenn die Arbeit beendet wurde. Doch ganz ohne eine Aufgabe fühlen wir uns unausgeglichen und nutzlos. Genau aus diesem Grund gehen wir arbeiten.
- Unser Gehirn unterscheidet nicht zwischen privat und beruflich. Es gelingt daher nicht immer, die Arbeit im Büro zu lassen. Genauso wenig gelingt es immer, persönliche Probleme zu Hause zu lassen. Gedanken lassen sich nicht so einfach abschalten.
- Maßnahmen zum Ausgleich binden nicht in jedem Fall die Mitarbeiter an das Unternehmen. Sie bewirken auch keine Leistungswunder. Wer das Unternehmen unbedingt verlassen will, der verlässt es auch.
- Besondere Talente suchen nicht nach zahlreichen oder besonderen Gimmicks. Sie kommen zu den Unternehmen, die ihnen die Möglichkeit bieten, sich aus der persönlichen Perspektive heraus voll zu entfalten und etwas bewirken zu können. Eine spannende und sinnvolle Aufgabe ist mehr wert als nur ein bloßer finanzieller Arbeitsausgleich.
Kriterien der Arbeitgeberwahl
Worauf es bei der Arbeitgeberwahl tatsächlich ankommt, untersucht die Unternehmens- und Strategieberatung McKinsey & Company einmal jährlich in dem Ergebnisbericht Most Wanted – die Arbeitgeberstudie (lesen Sie hier den ganzen Artikel). Die Studie kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: Nicht die Balance zwischen Berufs- und Privatleben zieht die Top-Talente zu den Unternehmen.
Viel mehr zählt – für Männer und Frauen übrigens gleichermaßen – der Erfolg des Arbeitgebers. Ausschlaggebende Faktoren bei der Arbeitgeberwahl sind vielmehr Faktoren wie Innovation, Atmosphäre im Unternehmen und eben der wirtschaftliche Erfolg. Erst auf Rang 19 folgt das Gleichgewicht zwischen Privatem und Beruflichem.
Brauchen wir mehr Balance?
Dabei können wir Deutschen eigentlich kaum etwas an der vorherrschenden Balance auszusetzen haben. Die OECD sammelt jährlich die auflaufenden Arbeitsstunden pro Person im internationalen Vergleich (hier geht's zur OECD Statistik). Aus der Statistik geht hervor, dass in keinem anderen Land so wenig gearbeitet wird, wie in Deutschland.
2016 lag der jährliche Durchschnitt bei 1.363 Arbeitsstunden pro Person. Im Vergleich: Der OECD-Durchschnitt liegt bei 1.763 Arbeitsstunden pro Person. Können wir uns also tatsächlich über zu viel Arbeit beschweren? Zugegeben: Die Stunden die wir arbeiten geben nicht unbedingt Aufschluss darüber, wie anstrengend die Arbeit auf uns wirkt. Doch im internationalen Vergleich gibt es nicht wirklich Grund zu meckern.
Arbeit und Leben – unvereinbar?
Stellt Arbeiten für uns also ein lästiges Übel dar und fängt unser richtiges Leben erst nach dem Feierabend an? Die Antwort lautet hier ganz klar: nein. Indem wir arbeiten, geben wir unserem Leben selbst eine Bedeutung. Wer nach mehr Work-Life-Balance schreit, braucht eventuell nur einen anderen Job. Einen, der mehr den eigenen Fähigkeiten entspricht und dafür sorgt, dass wir uns entfalten können. Die kleinen oder auch großen Herausforderungen, denen man sich im Job stellen muss, stärken die Persönlichkeit und den Charakter.
Wer glaubt, dass Arbeiten und Leben getrennt werden können, begeht einen Denkfehler. Für einige mag das Leben jenseits der Arbeit der Part sein, indem sie mehr Erfüllung finden und auch mehr Sinn sehen. Doch anstatt über eine bessere Work-Life-Balance zu reden, sollten wir uns darum bemühen, uns ein sinnerfüllteres Arbeitsleben zu schaffen.
Jeder Arbeitnehmer kann sich selbst fragen, ob er seine Fähigkeiten und Leidenschaft in seinem Job optimal ausleben kann. Ist das nicht der Fall, wären Überlegungen über einem Jobwechsel viel angebrachter.
Arbeitszeit ist Lebenszeit!
Bereits im Kindesalter lernen wir, das Arbeiten immer mit Mühe verbunden ist. Ob nun in den Wörtern Hausarbeit, Schularbeit etc. Ein bitterer Beigeschmack ist also von Anfang an vorhanden und sorgt dafür, dass uns die Lebensfreude beim Arbeiten abhandenkommt. Doch das ist alles eine Frage der Haltung und lässt sich korrigieren.
Machen Sie Ihren Kopf frei von den Gedanken der Work-Life-Balance und machen Sie sich bewusst, dass die Arbeit uns nicht am Leben hindert. Sie ist ein bedeutender Bestandteil unseres Lebens, ohne den wir uns nicht selbst verwirklichen können.
Fazit: Arbeit ist Leben und Leben ist Arbeit
Arbeiten gehört zu unserem Leben. Sie ist ein Teil von uns, ohne den wir uns nutzlos und gegebenenfalls auch wertlos fühlen. Sie erfüllt uns mit Sinn - und das ist genau das, wonach auch die jüngeren Generationen in ihrem Tätigkeitsfeld suchen.
Dabei geht es nicht um die perfekte Balance zwischen dem privaten Leben und der Arbeit – falls es die überhaupt jemals geben sollte. Es geht doch vielmehr darum, Aufgaben zu finden, die den eigenen Fähigkeiten entsprechen und die uns glücklich machen.
Im Employer Branding spielt die Mitarbeitermotivation eine zentrale Rolle. Ein gutes Betriebsklima und ein Vorgesetzter, der seine Mitarbeiter motivieren kann, machen einen merkbaren Unterschied in der Leistungsfähigkeit und der Motivation des Arbeitnehmers aus. Die zwischenmenschlichen Interaktionen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern und unter den Kollegen sorgen für Zufriedenheit bei der Arbeit und steigert zusätzlich noch die Attraktivität des Arbeitgebers.
Autor: Claudia Wiehler
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